15.08.18

Warum werden wir immer dicker?


Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Ursächlich ist eine gestörte Energiebilanz, bei der die Energiezufuhr durch Nahrung dem Energieverbrauch überwiegt.

Nahrung und Essgewohnheiten

Mit Beginn der industriellen Revolution haben sich unsere Essgewohnheiten und auch die Nahrungszusammensetzung geändert.  Nahrung ist mehr oder weniger jederzeit in Reichweite und relativ preiswert. Auch wird sie immer energiedichter bzw. kalorienreicher.



Daten des  National Health and Nutrition Examination Survey aus den USA zeigen, dass Männer im Zeitraum 1976 – 1991 ihre Energiezufuhr um 5 % und Frauen um 15 % steigerten, eine Entwicklung, die sich keinesfalls auf die USA beschränkte, sondern auch in anderen Ländern beobachtet wurde. Auch die tägliche Gesamtenergieaufnahme mit der Nahrung hat im Zeitraum zwischen 1977 und 2003 um knapp 600 kcal zugenommen, was auf die Zunahme der täglichen Mahlzeitenanzahl und der Portionsgrößen zurückzuführen ist. 

Besonders problematisch ist die Zunahme des Zuckerkonsums vornehmlich durch Fruchtsäfte und Softdrinks. Traditionelle Ernährungsmuster entfallen, die Verpflegung erfolgt immer häufiger außer Haus und der Verzehr von kalorienreichen Fertigmahlzeiten nimmt zu.

Bewegungsmangel

Zusätzlich zur Veränderung unserer Ernährungsgewohnheiten ist der Energieumsatz durch körperliche Aktivität deutlich rückläufig. So ist alleine die tägliche Schrittzahl unter modernen Lebensbedingungen um rund ein Drittel rückläufig. Eine Untersuchung der Amish Glaubensgemeinschaft in den USA als Beispiel für eine traditionelle Lebensweise ergab, dass Frauen täglich im Durchschnitt 15.000 Schritte und Männer ca. 21.000 Schritte zurücklegen. In einer Kontrollgruppe für den modernen Lebensstil ergab die durchschnittliche Schrittzahl für Frauen nur noch 6.600 und für Männer rund 7.000 Schritte täglich, womit pro Tag rund 500 kcal weniger an Energie verbraucht werden.



Auch die veränderten Arbeitsbedingungen - weniger körperliche Arbeit, mehr sitzende Tätigkeiten - wie auch das veränderten Freizeitverhalten - Fernseh- und Computerverhalten - führen zu einer Abnahme des Kalorienverbrauchs.

Genetische Ursachen

Die Neigung zur Adipositas kann in Einzelfällen auf genetische Ursachen zurückzuführen sein. Die Adipositas tritt dann bereits im Kindesalter auf, gelegentlich in Kombination mit körperlichen Stigmata, Hormonstörungen und geistiger Behinderung. Die Bedeutung genetischer Ursachen für eine Adipositas wird in der Regel überbewertet.

Psychische Ursachen

Die durch Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten begünstigte Entwicklung der Adipositas wird durch psychosoziale Ursachen weiter verstärkt. Der Zerfall familiärer Strukturen (Isolation) und veränderte Anforderungen im Beruf (Arbeitsverdichtung, Arbeitslosigkeit)  erhöhen das Stressempfinden, wodurch die oben erwähnte Zunahme der Energiezufuhr verstärkt werden kann.



Hormonelle Ursachen

Hormonelle Störungen, die zur Adipositas führen, wie beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion oder eine übermäßige Cortisonproduktion durch Nebennierenerkrankungen, wird meist überschätzt. Klarheit können entsprechende Blutuntersuchungen bringen.

Medikamente

Zu den adipogenen Medikamenten gehören in erster Linie Präparate, die auf das Zentralnervensystem wirken wie beispielsweise Antidepressiva. Sie stimulieren Hunger und Appetit und können zu erheblicher Gewichtszunahme führen. Weitere Medikamente mit ähnlicher Wirkung sind u.a. Cortison und Insulin.

Quellen:
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14.08.18

Folgekrankheiten der Adipositas


Die Adipositas kann zu zahlreichen Erkrankungen führen, neben Gelenk- und Lungenerkrankungen insbesondere zu Herz-Kreislauf-Problemen, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Fettstoffwechselerkrankungen. Auch spielt das Vorliegen einer Adipositas eine Rolle bei der Entstehung von Krebserkrankungen. Die Lebenswertung eines 40jährigen adipösen Menschen ist durchschnittlich um 7 Jahre verkürzt.

Metabolisches Syndrom

Das metabolische Syndrom wird neben dem Rauchen als entscheidender Risikofaktor für Erkrankungen der arteriellen Gefäße angesehen, insbesondere der koronaren Herzkrankheit. Zu dem sogenannten „tödlichen Quartett“ des metabolischen Syndroms gehören:

  • Adipositas, insb. vom viszeralen Typ
  • Bluthochdruck
  • Fettstoffwechselstörungen
  • Insulinresistenz bzw. gestörte Glukosetoleranz, die Hauptursache für Diabetes mellitus Typ 2

Weitere Erkrankungen, die beim metabolischen Syndrom häufig auftreten sind die Hyperurikämie (Erhöhung des Harnsäurespiegels, Gicht) und bei Frauen eine Hyperandrogenämie, d.h. eine Erhöhung des Androgenspiegels (männliches Geschlechtshormon). Auch Gerinnungsstörungen kommen häufiger vor, weshalb bei adipösen Menschen das Thrombose-Risiko erhöht ist.



Die viszerale Fettverteilung ist ein wesentlicher Faktor der Insulinresistenz, bei der die Zellen weniger auf körpereigenes und von außen zugeführtes Insulin reagieren. Betroffene sind vor allem Muskel-, Leber- und Fettzellen.  Die abdominale oder viszerale Adipositas ist somit ein wichtiger Risikofaktor für die Ausbildung eines Diabetes mellitus Typ 2. Eine Studie aus 1997 ergab bei einem Bauchumfang von über 96,4 cm im Vergleich zu unter 71 cm innerhalb von 8 Jahren ein um 6,2-fach erhöhtes Risiko, einen Diabetes mellitus zu entwickeln. Umgekehrt kann bereits eine mäßige Gewichtsreduktion bei der Adipositas das Risiko einer Diabetes-Erkrankung deutlich reduzieren. Dieser Zusammenhang gilt nicht für den autoimmunbedingten Diabetes mellitus Typ 1.

Häufigste Folgeerkrankung der Adipositas ist der Bluthochdruck, der bei adipösen Menschen 5-mal häufiger auftritt als bei Normalgewichtigen. Auch hier führt eine Gewichtsabnahme zur Senkung der erhöhten Blutdruckwerte. Die Adipositas führt zu einer Erhöhung der Triglyzeride bei gleichzeitiger Erniedrigung des HDL-Cholesterins im Blut, was als Dyslipidämie bezeichnet wird. Sie ist ein Wegbereiter der Arteriosklerose (Arterienverkalkung).

Die Adipositas ist ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen. Dazu gehören Herzschwäche, Herzinfarkt und plötzlicher Herztod sowie Schlaganfälle.

Fettleber

Die viszerale Adipositas kann zur Ausbildung einer Leberverfettung führen, die über eine entzündlich bedingte Fettleber bis hin zur Leberzirrhose führen kann. Die Zirrhose ist wiederum ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Leberzellkarzinoms.  Auch hier spielt die Insulinresistenz eine wichtige Rolle.



Schlafbezogene Atmungsstörungen

Die Adipositas kann zur Entwicklung des sogenannten Schlafapnoe-Syndroms führen, das durch nächtliche Atemaussetzer charakterisiert ist, die über mehrere Minuten anhalten können. Unbehandelt führt es zu Bluthochdruck, Herzproblemen bis hin zum Herzinfarkt, Depressionen und Stresserkrankungen wie Magengeschwüre, Tinnitus und Hörsturz. Auch hier besteht ein Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Insulinresistenz.

Männer sind 4-mal häufiger vom Schlafapnoe-Syndrom betroffen als Frauen. Ab einem Halsumfang von mehr als 43 cm bei Männern und 40,5 cm bei Frauen steigt das Risiko für das Apnoe-Syndrom deutlich an. Erster Hinweis auf ein Schlafapnoe-Syndrom ist eine gesteigerte Tagesmüdigkeit.

Bewegungsapparat

Degenerative Gelenkerkrankungen treten bei der Adipositas häufiger und frühzeitiger auf. Dadurch wird die bei der Behandlung der Adipositas erwünschte Steigerung der körperlichen Aktivität häufig blockiert. Der vorzeitige Verschleiß betrifft überwiegend die Knie- und Hüftgelenke, aber auch Wirbelsäulenprobleme treten vermehrt auf.


Krebserkrankungen

Das Risiko, eine Karzinomerkrankung zu entwickeln, ist bei adipösen Menschen erhöht. Die Wahrscheinlichkeit, ein Karzinom zu entwickeln beträgt pro Zunahme des BMI um 5 kg/m² je nach Krebsart um 12 – 50 %. 

Ein Zusammenhang zwischen der Adipositas und Tumorerkrankungen ist bekannt für Dickdarm-, Nieren-, Speiseröhren-, Magen-,  Bauchspeicheldrüsen-, Leber- und Prostatakrebs. Adipöse Frauen haben zudem ein erhöhtes Risiko für Karzinome der Gallenblase und Gallenwege, Brust-, Eierstock- und Gebärmutterhalskrebs.

Quellen:

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